Donnerstag, 19 Juni 2025 15:55

Online-Boom bei Cannabisrezepten trotz Kritik

Medizinisches Cannabis Medizinisches Cannabis foto: pixabay

Seit der Teilfreigabe von Cannabis in Deutschland greifen immer mehr Menschen auf digitale Plattformen zurück, um an medizinisches Cannabis zu kommen. Während schwerkranke Patienten weiterhin mit Vorurteilen kämpfen, florieren Onlineangebote, bei denen ein Rezept innerhalb weniger Minuten erhältlich ist. Plattformen wie can-doc.de werben mit schnellen Diagnosen, rezeptfreiem Zugang und diskreter Lieferung. Doch viele Fachärzte äußern Bedenken.

Inhaltsverzeichnis:

Onlineplattform can-doc.de verspricht Rezepte ohne Arztbesuch

Laut eigenen Angaben hat can-doc.de bereits über 50.000 Kunden mit Rezepten für medizinisches Cannabis versorgt. Die Nutzung erfolgt über ein einfaches Verfahren. Patientinnen und Patienten müssen lediglich einen kurzen Online-Fragebogen ausfüllen, Angaben zu angeblichen Beschwerden wie Schlafstörungen machen und ein Ausweisdokument hochladen. Ein direkter Arztkontakt findet dabei nicht statt. Die Rezepte werden dennoch von Ärztinnen und Ärzten aus dem EU-Ausland ausgestellt – häufig aus Irland.

Am nächsten Tag erhalten Nutzer ein Privatrezept. Damit können sie Cannabisprodukte mit Namen wie „Wedding Singer“ oder „Tiger Cake“ bestellen. Die Preise liegen zwischen 8,50 und 12,70 Euro pro Gramm. Die Lieferung erfolgt direkt an die Haustür oder über Apotheken. Ein ärztlicher Begleitbrief mit allgemeinen Informationen zu Dosis und Nebenwirkungen ist ebenfalls enthalten.

Apothekerin Claudia Neuhaus warnt vor Missbrauch

Claudia Neuhaus, Apothekerin in Berlin, berichtet von einer stark gestiegenen Nachfrage nach medizinischem Cannabis seit der Gesetzesänderung. Gleichzeitig sieht sie ein Problem in der fehlenden Möglichkeit zur Verifizierung von Rezepten. Ihr geschultes Team stellt bei Verdacht gezielte Fragen, kann die Ausstellung jedoch nicht überprüfen. Eine Verweigerung der Abgabe kommt vor, ist jedoch selten.

Die gesetzliche Lage zwingt Apotheken zur Abgabe – unabhängig von der Tiefe der Diagnose. „Wir dürfen nicht entscheiden, ob ein Rezept gerechtfertigt ist oder nicht“, sagt Neuhaus. Sie fordert bessere Standards und mehr Transparenz im Verordnungsprozess.

Patientin Wolke berichtet von Vorurteilen im Gesundheitssystem

Wolke, eine Patientin aus Berlin-Marzahn, lebt mit Multipler Sklerose und starken Spastiken. Sie nutzt seit acht Jahren medizinisches Cannabis – legal und vom Arzt verschrieben. Nur Cannabis, nicht andere Medikamente, konnte ihre Schmerzen effektiv lindern. Die Lebensqualität sei dadurch deutlich gestiegen, sagt sie.

Dennoch berichtet sie von zahlreichen Ablehnungen durch Ärzte. Viele hätten ihr unterstellt, die Rezepte weiterverkaufen zu wollen. „Man wird von Ärzten wie ein Junkie behandelt“, sagt sie. Das Stigma sei allgegenwärtig. Viele Hausärzte lehnten Cannabis aus Prinzip ab oder verfügten über keine Erfahrung im Umgang mit solchen Patienten.

Mediziner kritisieren Gesetzeslücken und fehlende Fachgeschäfte

Dr. Konrad Cimander vom Kompetenzzentrum für Cannabis-Medizin in Hannover betreut rund 700 Patienten. Er bezeichnet das derzeitige Gesetz als unzureichend. Seiner Ansicht nach fehlt eine zweite Säule: kontrollierte Fachgeschäfte für Freizeitkonsumenten. Die derzeitige Praxis über Onlineplattformen öffne Tür und Tor für Missbrauch.

Medizinisches Cannabis in Blütenform hält Cimander nur in Ausnahmefällen für sinnvoll – zum Beispiel in der Palliativmedizin. Tropfen seien gezielter, verursachten kein Rauschgefühl und eigneten sich besser für medizinische Anwendungen. Cannabisblüten sollten daher nicht über Rezepte, sondern über regulierte Verkaufsstellen erhältlich sein.

Überblick über die Problematik

  • Rezeptvergabe über Plattformen wie can-doc.de erfolgt ohne direkten Arztkontakt.
  • Apotheken dürfen Rezepte nicht eigenständig überprüfen, sondern müssen Medikamente abgeben.
  • Echte Patienten stoßen auf Misstrauen und bürokratische Hürden.
  • Ärzte fordern gesetzliche Nachbesserungen und klare Abgrenzungen zwischen medizinischer und freizeitlicher Nutzung.
  • Solange keine spezialisierten Verkaufsstellen existieren, bleibt das System anfällig für Missbrauch und erschwert den Zugang für ernsthaft erkrankte Menschen.

Quelle: RBB24, www.24edu.info/de